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"Куда идет мир? Каково будущее науки? Как "объять необъятное", получая образование - высшее, среднее, начальное? Как преодолеть "пропасть двух культур" - естественнонаучной и гуманитарной? Как создать и вырастить научную школу? Какова структура нашего познания? Как управлять риском? Можно ли с единой точки зрения взглянуть на проблемы математики и экономики, физики и психологии, компьютерных наук и географии, техники и философии?"

«Herausforderungen von Komplexitдt im 21. Jahrhundert: Dynamik und Selbstorganisation im Zeitalter der Globalisierung» 
Prof. Dr. Klaus Mainzer

Da Personalarbeit von Menschen geleistet wird, findet auch sie unter den Bedingungen beschrankter Rationalitat statt. Ihre Wahrnehmungs- und Bewertungsraster sind beschrankt und fuzzy. Fahigkeiten und Anlagen von Mitarbeitern bleiben verborgen und werden nicht erfasst. Haufig beschrankt sich Personalarbeit auf das explizite und deklarierte Wissen von Mitarbeitern, das in Tests und Leistungsbilanzen (z.B. Zeugnissen) erfasst ist. Dabei bleibt das implizite und prozeduale Wissen ausgeblendet, das erst im Arbeits- und Problemlosungsprozess im Team beobachtbar ist. Das Top-Management, in dem die Unternehmensziele und Strategien formuliert werden, ist von dieser Basisperspektive haufig zu weit entfernt. Andererseits bedarf es einer Vermittlung des strategischen Unternehmenswissens mit dem Wissen und Konnen des Mitarbeiterteams. Personalarbeit sollte daher als Wissensbroker zwischen dem Top-Management nd den Arbeitsteams angesiedelt sein (middle-up-down management), um den Wissenstransfer im Unternehmen zu optimieren.

Da Personalarbeit Teil des lernenden Unternehmens ist, muss auch sie ihre Wahrnehmungs- und Bewertungskriterien standig uberprufen. Welche Kriterien sind anzuwenden, wenn ein Unternehmen als lernendes und sich selbst organisierendes komplexes dynamisches Wissenssystem verstanden wird? Wissen bedeutet vor allem Problemlosungskompetenz. Dazu gehoren Problemerkennung und -strukturierung, Kreativitat und innovatives Denken, Einordnung von gefundenen Losungen in Gesamtzusammenhangen des Unternehmens. Unter den Bedingungen von Komplexitat und Selbstorganisation steigt die Kompetenz eines Mitarbeiters, je mehr er selbstandig neue und auch ungewohnliche Losungen von komplexen Fragestellungen anzugeben in der Lage ist.

Unter den Bedingungen von Komplexitat und Globalisierung wird Interdisziplinaritat ein zentrales Kriterium des Wissensmanagement. Mitarbeiter und Manager von Unternehmen erhalten unter der Bedingung von Komplexitat keine sauberlich getrennten Fachprobleme des Marketings, Finanzwesens, der Produktion, Logistik oder Personalfragen zugeteilt. Sie werden mit vernetzten Problemen einer komplexen Unternehmenswirklichkeit konfrontiert, fur die facherubergreifendes Denken notwendig ist. Gemeint ist nicht der schale Dunnbrettbohrer, der von allem nichts versteht. Gemeint ist die/der Fachfrau/Fachmann fur z.B. Finanzfragen, die/der die Zusammenhange mit anderen Unternehmensaspekten versteht und im Team berucksichtigen kann.

Im modernen Management ist daher Systemdenken und -verstandnis, d.h. das Denkenkonnen in komplexen dynamischen Systemen unabdingbar. Projektorientierte und fachubergreifende Modellierungen setzen ein grundliches Basiswissen systemischen Arbeitens voraus. Das wird sich als Ausbildungsvorteil in der globalisierten Wissensgesellschaft erweisen. Der angebliche deutsche Hang zur Grundlichkeit hatte nichts mehr mit der im 19. Jahrhundert belachelten Lufthoheit der deutschen Philosophen uber den Wolken zu tun, sondern mit einer Fahigkeit, die sich als Wertschopfung auszahlt. Bei den immer schneller werdenden Innovationszyklen in der Wissensgesellschaft sind die Losungen von heute bereits morgen schon uberholt. Basiswissen systemischen Denkens versetzt in die Lage, sich immer wieder neu in Problemlosungen einzuarbeiten. Konkretes Beispiel: Der heute international nachgefragte Spezialist fur Java-Programme kann morgen bereits uberholt sein, der Informatiker mit grundlicher und breiter Basisausbildung nicht.

Im Zeitalter der Globalisierung kommen interkulturelles Verstandnis und Erfahrung hinzu. Sensibilitat fur unvorhergesehene Kulturprobleme werden nicht allein durch Fremdsprachenkurse, sondern durch interkulturelles Wissen und Erfahrung erreicht. In international agierenden Unternehmen gehort interkulturelles Verstandnis mit zur Sozialkompetenz, die fur heutige Teamarbeit unabdingbar ist. Unternehmen sind nicht nur lernende komplexe und dynamische Wissenssysteme, sondern soziale Organisationen von Personen. Mit wachsender Mobilitat und Dynamik, unter den Bedingungen labiler und instabiler Gleichgewichte am Rande des Chaos bedarf es zudem langfristiger Orientierungen und Werte uber den Tag hinaus. Wertorientierung muss zwar ebenfalls standig uberpruft werden. Aber ohne Werte gibt es kein Verantwortungsbewusstsein, das fur andere eintritt, keine Fuhrungsqualitaten, die durch Vorbild uberzeugen. Unternehmen sind daher auch immer Wertgemeinschaften, die uber die Shareholder-Value- Mentalitat hinausgehen mussen.

Management der Zukunft fuhrt also vom Komplexitats- und Wissensmanagement zum Kreativitatsmanagement. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt nichtlinearer Unternehmensdynamik und tragt seiner Natur Rechnung. Das gelingt nur, wenn Personalarbeit der Zukunft auf den Ergebnissen von Kognitions- und Systemforschung, Philosophie und Ethik aufbaut. Nur so fordert sie die Kreativitatspotentiale des Unternehmens und tragt zu seinem Erfolg bei.

7. Selbstorganisation und Dynamik im Zeitalter der Globalisierung:
Ru?land und das neue Europa

Lander und Nationen sind komplexe Systeme, die den Gesetzen nichtlinearen Dynamik folgen. Ihre Geschichte la?t sich als Phasenubergange verstehen, die an Instabilitatspunkten in neue Ordnungen umschlagen, die wiederum instabil werden konnen, um neuen Ordnungen Platz zu machen. Nichtlineare Dynamik bedeutet, dass wir diese Prozesse nicht in allen Details zentral steuern konnen. Wir mussen also rechtzeitig die Instabilitatspunkte und mogliche Ordnungsparameter erkennen, die globale Trends dominieren konnten. Sensibilitat fur die empfindlichen Gleichgewichte nichtlinearer Dynamik reicht aber nicht aus. Wir konnen nichtlineare Dynamik durchaus beeinflussen. Wenn wir nicht handeln, werden wir von der Eigendynamik komplexer Systeme uberrollt. Am Rande des Chaos sind zwar Sensibilitat gefragt, aber auch Mut und Kreativitat zur Problemlosung.

Ein kurzer Blick auf die Geschichte Ru?lands und Europas bestatigt diese Analyse nichtlinearer Dynamik. Nachdem die mittelalterliche Ordnung in Europa zusammengebrochen war, herrschte das Chaos des Drei?igjahrigen Krieges. Unter diesem Eindruck beschrieb der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588-1678) den naturlichen Urzustand einer Gesellschaft als den Krieg aller gegen alle. Jeder ist nur an seinem Uberleben interessiert. Daher schlug Hobbes einen Phasenubergang zu einer neuen gesellschaftlichen Ordnung vor, bei dem jeder Burger seine Freiheiten an einen absoluten Staat («Leviathan») abgibt, um einen absoluten Gleichgewichtszustand der Stabilitat und Sicherheit zu erreichen. Hobbes stellte sich diesen Phasenubergang als einen Sozialvertrag der Burger mit dem Staat vor. Nach dem Vorbild der Mechanik sollte der Staat eine perfekte und zentral gesteuerte Maschine sein, die sich durch die Versorgung und den Schutz der Burger legitimiert. Im Zeitalter des Absolutismus werden im Europa des 17. und 18. Jahrhundert tatsachlich solche Staaten geschaffen. Ich erinnere an die gro?e Epoche Ru?lands von Zar Peter dem Gro?en bis zu Katharina der Gro?en, die einen modernen zentralistischen Verwaltungsstaat schufen und sich von den besten Gelehrten Europas beraten lie?en.

Das passende Wirtschaftsmodell zu diesen absolutistischen Regimen entwarfen die franzosischen Okonomen der physiokratischen Schule. Nach dem Vorbild der cartesianischen Mechanik sollte das okonomische System wie ein Uhrwerk funktionieren. Die Landwirtschaft, die treibende Kraft der physiokratischen Okonomie ist, wird mit den Gewichten einer Uhr verglichen. Okonomische Produktion wird als zusammengesetzte mechanische Bewegung gedeutet. Die Verteilung des Profits zwischen den gesellschaftlichen Klassen geschieht nach einem zentralen Plan (Tableau economique). Der absolutische Staat und die absolutische Wirtschaft ist sicher ein Fortschritt gegenuber der vorausgehenden Phase des Mittelalters. Sie entsprechen dem linearen Denken der cartesianischen Physik.

Ende des 18. Jahrhunderts werden diese Regime instabil. In der franzosischen Revolution bricht der Absolutismus zusammen. Der Sturm auf die Bastille ist der lokale Schmetterlingseffekt der nichtlinearen Dynamik, der die globale europaische Geschichte erschuttert. Kant und Hegel feiern die franzosische Republik als neue Phase der burgerlichen Weltgeschichte. Die Verfassung der Menschenrechte sollte die Freiheitsrechte der Burger garantieren. Zu den burgerlichen Freiheiten treten die okonomischen Freiheiten, die Adam Smith in seinem liberalen Modell der freien Marktwirtschaft beschreibt. Das Gleichgewicht der politischen und okonomischen Krafte wird also durch Selbstorganisation erreicht. Die Verfassung soll das freie Spiel der Krafte garantieren. Die burgerliche Gesellschaft wird buchstablich als Fixpunktattraktor der Weltgeschichte betrachtet, in der die Dynamik in ein Gleichgewicht des Wohlstands, des Friedens der Volker und der Wohlfahrt geraten sollte. Das war die Illusion der Theoretiker der burgerlichen Gesellschaft. Nichtlineare Dynamik hochkomplexer offener Systeme kennt kein finales Gleichgewicht.

Marx erwartete folgerichtig den nachsten Phasenubergang in den okonomisch hochentwickelten burgerlichen Gesellschaften wie Frankreich und England. Unter den Bedingungen des 1. Weltkrieges brach aber uberraschenderweise das absolutistische Regime in Ru?land zusammen. Der Sturm auf das Winterpalais in St. Petersburg war der lokale Schmetterlingseffekt, der globale Weltgeschichte machen sollte. Tatsachlich wurde er auch von einer Minderheit (Bolschewiken) ausgelost, die das gesamte System Ru?lands dominieren sollte («Diktatur des Proletariats»). Der Leninismus wird zum neuen Ordnungsparameter dieses riesigen Landes. Ein absolutistischer Agrarstaat sollte in kurzester Zeit in einen modernen sozialistischen Industriestaat transformiert werden, ohne die burgerliche Phase durchlaufen zu mussen. Die Avantgarde einer Partei sollte dazu den Masterplan entwickeln. Wer die nichtlineare Dynamik hochkomplexer Systeme kennt, wei?, dass sich Phasenubergange nicht zentral steuern lassen. Es erinnert an Platons Illusion von den Philosophenkonigen, die alles wissen und daher das Gute schaffen wollen. Vom Standpunkt der Informatik wissen wir, dass kein einzelner Prozessor komplexe Computer-, Informations- und Kommunikationsnetze steuern kann. Kein menschliches Gehirn vermag den nichtlinearen Informationsflu? eines solchen hochdimensionalen komplexen Systems zu erfassen. Wir konnen nur Nebenbedingungen schaffen, damit sich gewunschte Attraktoren selber entwickeln.

Aus der Konfrontation der burgerlich-liberalen und sozialistischen Gesellschaftssysteme entwickelte sich nach dem 2. Weltkrieg ein weltweit bipolares Gleichgewichtssystem. Gelegentlich wird es als Gleichgewicht des Schreckens bezeichnet, da sich zwei atomar hochgerustete Blocke gegenuber standen. Vom Standpunkt nichtlinearer Dynamik war dieses System aber durchaus stabil, solange sich jeder an die Spielregeln hielt. Wir erinnern uns alle noch an die Instabilitatspunkte (z.B. Kuba-Krise, Berlin-Krise), als lokale Fluktuationen drohten, globale Wirkungen auszulosen und in einen atomaren Chaosattraktor zu laufen. Viele lokale Konflikte mit Millionen von Toten, die heute die Welt erschuttern, blieben den Menschen aber erspart. Insbesondere blieben die vielen lokalen ethnischen, nationalen und religiosen Konflikte von heute domestiziert. Das Gleichgewicht de Schreckens hatte also auch Vorteile. Die nichtlineare Dynamik intelligenter Menschen la?t sich aber nicht in abgeschlossenen Systemen isolieren. Die modernen Informations- und Kommunikationssysteme weckten Hoffnungen und Wunsche, die eine starke Eigendynamik entwickelten. Verbunden mit gro?en okonomischen Problemen destabilisierte sich Ende der 80er Jahre das bipolare Gleichgewicht in rasantem Tempo, ohne dass es viele Politiker rechtzeitig erkannten.

Vom heutigen Standpunkt aus halt man noch den Atem an. 1989 hatte die Welt in eine atomare Katastrophe steuern konnen. Tatsachlich erlebten wir, wie dieses Gleichgewichtssystem in einem friedlichen Phasenubergang implodierte. Die Gewichte ordneten sich seitdem neu und es entstand die russische Foderation und das neue Europa. Nach meiner Auffassung ist es vor allem das gro?e Verdienst Ru?lands, diesen friedlichen Ubergang in Europa ermoglicht zu haben. Fur die Ordnungsmacht des Ostblocks ware auch ein anderer Weg denkbar gewesen. Dieses Land, das wie kein anderes mit Millionen Toten unter den Folgen des 2. Weltkriegs gelitten hatte, wahlte den Weg des Friedens und bezahlte dafur einen hohen Preis. Daran sollte sich das neue Europa erinnern, die Partnerschaft mit Ru?land suchen, um die gefahrlichen Irrtumer der europaischen Geschichte zu vermeiden.

Die Partnerschaft zwischen Ru?land und Europa wird um so dringender, da beide Systeme vor derselben Herausforderung stehen. Gemeint ist die Globalisierung. Das ist das gewaltigste komplexe dynamische System, das die Weltgeschichte bisher hervorgebracht hat. Es ist eine multipolare Nichtgleichgewichtsdynamik, die an die Stelle der bipolaren Gleichgewichtsdynamik getreten ist. An die Stelle des einen dominierenden Ost-West-Konflikts treten viele lokale Konfliktherde, die sich jederzeit in globale Katastrophen verwandeln konnen. Das Gleichgewicht des Schreckens wurde durch den Schrecken des Ungleichgewichts ersetzt! Die Welt nach 1989 ist hoch komplex. Unter dem Gesichtspunkt der Sicherheitspolitik ist sie unubersichtlicher und daher auch gefahrlicher als vorher. Der internationale Terrorismus ist eine Folge der Nichtgleichgewichtsdynamik. Kein Land sollte sich daher einbilden, die neue Ordnungsmacht in diesem komplexen dynamischen System der Globalisierung werden zu konnen. In einer nichtlinearen Dynamik ware es ein schwerer mathematischer Fehler, spieltheoretisch von einem Nullsummenspiel auszugehen, in dem der Gewinner allen Nutzen auf Kosten des Verlierers erhalt. In nichtlinearer Dynamik hangt alles mit jedem zusammen.

Globalisierung meint aber vor allem die nichtlineare Dynamik weltweiter Marktsysteme, ihre entfesselten okonomischen Krafte und die damit verbundenen sozialen Verwerfungen. Das la?t sich bereits im neuen Europa studieren. Im Unterschied zu Ru?land ist das neue Europa keineswegs ein Staat, sondern nur eine Wirtschafts- und Wahrungsunion von 25 Landern mit sehr unterschiedlichen okonomischen und sozialen Entwicklungsstandards. Die Politik hat fur dieses komplexe System die Nebenbedingungen geschaffen und hofft, dass sich diese Unterschiede in langfristigen Phasenubergangen ausgleichen. Wie das Beispiel Deutschlands zeigt, wird dieser Prozess Generationen brauchen: Die ursprungliche Vorstellung, das Ost- und Westdeutschland okonomisch in wenigen Jahren zusammenwachsen, hat sich als Illusion erwiesen. Die Entwicklung Deutschlands wird auch in Zukunft durch die gewaltigen Kosten des Vereinigungsprozesses gebremst sein. Synergetische Effekte nichtlinearer Dynamik mussen bezahlt werden. Demgegenuber ist Ru?land eine historisch gewachsene Nation von der Gro?e eines Kontinents, die keineswegs auf Europa beschrankt ist. Ru?land ist auch eine fuhrende Ordnungsmacht in Asien. Die Einheit dieses riesigen Landes kostet einen gewaltigen Preis.

Einheit und Gro?e bedeuten aber auch Zuwachs an Komplexitat. Die gemeinsame gro?e Herausforderung Ru?lands und Europas hei?t daher Komplexitat. In Brussel konnte eine aufgeblahte Burokratie heranwachsen, die versucht, alles und jedes in den vielfaltigen Regionen und Landern der Europaischen Union zu regularen. Am Ende wurde die Entwicklung der Regionen behindert und Ressourcen durch den Zentralismus vernichtet. Auch hier gilt die Einsicht, das Information und Wissen in hochdimensionalen komplexen Systemen sich nicht zentralisieren und konzentrieren lassen. Management von Unternehmen, Verwaltungen und Politik handeln in komplexen dynamischen Systemen immer unter den Bedingungen beschrankter Rationalitat. Das Wissen vor Ort, wo die Probleme sind, ist gro?er als in der Zentrale. Der europaische Foderalismus ist daher auch eine Chance. Es gilt das Subsidiaritatsprinzip. Danach hilft jede Region sich selbst. Die ubergeordnete Ebene greift erst ein, wenn sich die untergeordnete Ebene nicht mehr selber helfen kann. Jeder Organismus ist nach diesem hierarchischen Controling-System organisiert. Dabei sollten moglichst «flache» Hierarchien eingerichtet werden: Nur soviele Instanzen wie notig, um Komplexitatskosten zu sparen.

In Unternehmen lassen sich Komplexitatskosten messen und in allen Abschnitten der Wertschopfungskette nachweisen. Das gilt naturlich auch fur die Europaische Union (EU) und die Verwaltungssysteme in Ru?land. So gibt es Komplexitatstreiber und Komplexitatsfallen, in die Verwaltungen und Unternehmen geraten konnen. Dazu gehort die Verzettelung in Sortiments-, Varianten-, Auftrags-, Kunden- und Teilevielfalt. In Deutschland haben wir das Phanomen des Overengineering zu komplexer technischer Gerate, die teuer sind und nicht funktionieren. Ein anderes Problem in Deutschland ist die Uberregulation durch ein zu komplexes Steuersystem, das Investoren abschreckt, aber auch Burger belastet. Instabilitat werden durch Nachfrageschwankungen und Planungsungenauigkeit hervorgerufen. Qualitatsmangel erfordern Nacharbeiten und Fehlerbehebungen und steigern damit Kosten. Komplexitatstreiber fuhren also zu unkontrollierbarem Kostenanstieg und Schwachung der Wettbewerbsposition. Daher bedarf es Fruhwarnsysteme (Controling), um nicht in den chaotischen Attraktoren der Komplexitatsfallen zu enden.

Die Globalisierung stellt alle Lander und Nationen unter unterschiedlichen Nebenbedingungen vor ahnliche Probleme. Unter der nichtlinearen Dynamik freier Markte arrangieren sich die Unternehmen weltweit neu. Die Nationalstaaten geraten in eine Nebenrolle. In der EU verlagern z.B. deutsche Unternehmen ihre Produktion im Moment nach Tschechien oder Polen, weil dort Arbeitskrafte so hochqualifiziert wie in Deutschland, aber beliebiger sind. Das kann sich aber bald schon andern. Unter den Bedingungen billiger Transport- und Kommunikationskosten ist eine Verlagerung nach Asien der nachste Schritt. Der Nationalstaat gerat in eine Nebenrolle und hat nur noch gegen die sozialen Verwerfungen mit immer weniger Mitteln zu kampfen, die durch Auswanderung globaler Konzerne entstehen. Die richtige Analyse und Diagnose von Karl Marx an den sozialen Folgen der okonomischen Nichtgleichgewichtsdynamik la?t sich also unter den Bedingungen der Globalisierung fortsetzen. Wir durfen nur nicht die falschen Therapien von damals ubernehmen.

Die Selbstorganisation der Markte kann zu sozialen Verwerfungen («Ausbeutung») und damit Instabilitat fuhren. Aus dieser Einsicht ist aber auch die Motivation gewachsen, Vorbeugungen gegen die Ausbeutung zu treffen. Dazu gehoren ein soziales Netz fur Schwache, Wettbewerbsgesetze und Beteiligung der Wohlhabenden an der Finanzierung des Wohlfahrtstaates. Gerade weil die Nationalstaaten die Marxsche Warnung Ernst nahmen, intervenierten sie, um wachsende Wohlstandsunterschiede zu verhindern und Stabilitat des Systems zu erreichen. Allerdings kann der Wohlfahrtsstat auch zu einer Komplexitatsfalle werden, wie wir soeben in Deutschland erleben. Um die Komplexitatskosten staatlicher Regulierung zu reduzieren, mussen Burger in die Lage versetzt werden, starker selber fur ihre soziale Zukunftssicherung zu sorgen. Durch geeignete Steuersysteme mussen dazu aber zunachst die Nebenbedingungen geschaffen werden. Dieser Phasenubergang la?t sich derzeit in Deutschland beobachten.

Die Weltwirtschaft steht vor einer ahnlichen Situation. Ihre nichtlineare Dynamik braucht Rahmengesetze, damit die okonomische Selbstorganisation nicht zur Verelendung von einigen Landern, kontinenten und Bevolkerungsschichten fuhrt. Mit Global Governance werden diese weltweite Rahmenbedingenen beschrieben, um die Selbstorganisation globaler Markte in gewunschte Bahnen zu lenken. Die entsprechenden Infrastrukturen und Instrumente wie UN, Weltbank und supranationale Vereinigungen sind leider erst im Ansatz vorhanden. Weltweiter Zentralismus ware eine fatale Illusion, weltweiter Foderalismus und Regionalismus wunschenswert. Kritiker verbinden die Globalisierung mit dem Recht der Gro?en, die Kleinen auszubeuten. Sie sehen instabile Finanzmarkte, eine ungleiche Einkommensverteilung, weniger Rechte fur den Einzelnen. Daran sind die okonomischen Gesetze nichtlinearer Dynamik ebensowenig «schuldig» wie die Gravitationsgesetze fur einen Kometeneinschlag. Wir sind aber verantwortlich, wenn wir die falschen Signale und Nebenbedingungen der okonomischen Selbstorganisation setzen.
Um okonomische Krafte an Standorte zu binden, bedarf es Qualifikation der Arbeitskrafte und Innovationsstarke unter gunstigen Kostenbedingungen. Globalisierung findet namlich heute unter den Bedingungen der Informations- und Wissensgesellschaft statt. Ru?land hat eine gro?e Tradition in seinem Bildungs- und Ausbildungssystem. Der Stellenwert z.B. mathematischer Ausbildung in Ru?land gehort nach wie vor zur Weltspitze. Das zeigt sich auch in den ehemaligen osteuropaischen Landern, die das russische Ausbildungssystem ubernommen hatten. Davon kann das ubrige Europa nur lernen. Jedenfalls gehoren Bildung und Innovation zu Schlusselfaktoren, um globale Ungleichgewichte zu beseitigen. Bildung und Ausbildung sind daher die beste Investition, die ein Land fur eine nachhaltige Zukunft seiner Burger ausfuhren kann.

8. Was lernen wir aus der nichtlinearen Dynamik komplexer Systeme?

Die Theorie komplexer dynamischer Systeme ist eine interdisziplinare Methodologie zur Modellierung nichtlinearer Prozesse in Natur und Gesellschaft. Diese Perspektive nenne ich den �dynamical view’ der Welt. Sie ist die wissenschaftstheoretische Antwort auf die zunehmende Komplexitat, Empfindlichkeit und Unubersichtlichkeit der modernen Lebenswelt des Menschen. Als Beispiele seien die Herausforderungen der Globalisierung, von Umwelt und Klima, Life Sciences und Informationsflut genannt. Veranderungen, Krisen, Chaos, Innovations- und Wachstumsschube werden durch Phasenubergange in kritischen Zustanden modelliert. Ziel sind Erklarungen und Prognosen dieser Prozesse. In Zeitreihenanalysen mussen dazu Phasenraume und Attraktoren aus Me?werten rekonstruiert werden. Die damit verbundenen Probleme der Me?auswertung und Diagnose sind eine gro?e Herausforderung fur die Technik.

Haufig reichen Computersimulationen, bei denen Algorithmen und Programme an die Stelle von Gleichungen dynamischer Systeme treten. In diesem Fall spreche ich vom �computational view’ der Welt. In einer Komplexitatsanalyse sind Leistungsfahigkeit, Aufwand und praktische Beschrankungen dieser Modelle zu bestimmen. Die Zukunft ist langfristig nicht vorausberechenbar, aber Trends (Ordnungsparameter) ihrer Dynamik erkennbar und beeinflu?bar. Ebensowenig wie die lineare Kausalitat des Laplaceschen Geistes ausreicht, gelingt es dem homo oeconomicus, unter den Bedingungen vollstandiger Information vollstandige Rationalitat zu realisieren. Entscheidungsverhalten findet unter den Bedingungen von Komplexitat statt. Ihre nichtlineare Kausalitat erlaubt nur beschrankte Rationalitat. Lineare Kausalitat ist ebenso wie die klassische Mechanik und Okonomie eine begriffliche Fiktion, die bestenfalls Naherungen erlaubt.

Selbstorganisation fuhrt zur Emergenz neuer Phanome, die auf neuen Stufen der Evolution auftreten. Selbstorganisation ist notwendig, um die zunehmende Komplexitat dieser Entwicklung zu bewaltigen. Sie kann aber auch zu unkontrollierbarer Eigendynamik und Chaos fuhren (vgl. Chaostheorie). In komplexen dynamischen Systemen (z.B. Organismen) bedarf es daher auch Monitoring und Controlling auf hierarchischen Systemstufen. Das gilt auch fur soziale und okonomische Systeme. Es gibt (noch?) keine abschlie?ende nichtlineare Systemtheorie. Wir kennen nur Teile von biologischen, neuronalen, kognitiven und sozialen Systemen im Rahmen einer allgemeinen Theorie komplexer dynamischer Systeme. Aber auch z.B. in der Physik gibt es noch keine abschlie?ende Theorie physikalischer Krafte. Dennoch wird damit erfolgreich gearbeitet. Um mehr daruber zu erfahren, bedarf es der interdisziplinaren Zusammenarbeit von Computer-, Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften. Ziel sind selbstorganisierende Systeme und Infrastrukturen als Dienstleister fur uns Menschen, die helfen, eine immer komplexer werdende Welt zu bewaltigen und lebenswerter zu gestalten.

Literaturhinweise

H. Haken/ A. Mikhailov (Hrsg.), Interdisciplinary Approaches for Nonlinear Complex Systems, Springer 1993; K. Mainzer, Thinking in Complexity. The Computational Dynamics of Matter, Mind, and Mankind, 4. erweiterte Aufl. 2004; K. Mainzer, KI — Kunstliche Intelligenz. Grundlagen intelligenter Systeme, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003; K. Mainzer (Hrsg.), Komplexitat und Nichtlineare Dynamik in Natur und Gesellschaft, Springer 1999; K. Mainzer, A. Muller, W.G. Saltzer (Hrsg.), From Simplicity to Complexity: Information, Interaction, Emergence, Vieweg 1998; K. Mainzer, Komplexitat in der Natur, in: Nova Acta Leopoldina NF 76, Nr. 303, 165-189 (1997); W. Weidlich, Sociodynamics, Taylor & Francis 2002.