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"Куда идет мир? Каково будущее науки? Как "объять необъятное", получая образование - высшее, среднее, начальное? Как преодолеть "пропасть двух культур" - естественнонаучной и гуманитарной? Как создать и вырастить научную школу? Какова структура нашего познания? Как управлять риском? Можно ли с единой точки зрения взглянуть на проблемы математики и экономики, физики и психологии, компьютерных наук и географии, техники и философии?"

«Herausforderungen von Komplexitдt im 21. Jahrhundert: Dynamik und Selbstorganisation im Zeitalter der Globalisierung» 
Prof. Dr. Klaus Mainzer

In der biologischen Evolution kam nach der zellularen die neuronale Selbstorganisation. Im Laufe von Millionen von Jahren wurden unterschiedliche komplexe neuronale Netzwerke und Lernverfahren entwickelt und ausgetestet. Seit einigen Jahren untersucht die Neuroinformatik diese Bau- und Lernverfahren der Natur, um sie als Blaupausen fur lernfahige technische neuronale Netze zu nutzen. Bereits Anfang der achtziger Jahre konstruierte der Festkorperphysiker J. Hopfield ein einschichtiges Netz von wechselwirkenden Neuronen, das wie ein physikalisches System (z.B. Ferromagnet ) mit einer konstant abnehmenden Energiemenge verstanden werden kann. Um in einem Bild die Dynamik des Netzwerks zu veranschaulichen: Die einzelnen Neuronen gleichen einzelnen Menschen in einer Versammlung, die zunachst ,energiegeladen’ untereinander eine temperamentvolle Diskussion mit vielen Einzelmeinungen fuhren, um sich schlie?lich im Gleichgewichtszustand einer mehrheitlichen Entscheidung zu beruhigen, indem sich gewisserma?en die hitzigen Gemuter abgekuhlt haben.

Die Dynamik des Hopfield-Systems ist dem Spinglas-Modell nachgebildet. Die energetische Wechselwirkung der magnetischen Atome mit zwei Spinzustanden (,up’ und ,down’) wird nun als Wechselwirkung binarer Neuronen mit zwei Zustanden (,schwarz’ und ,wei?’) aufgefasst. Dazu stellen wir uns ein schachbrettartiges Gitternetz aus binaren Neuronen vor. Ein Muster (z.B. der Buchstabe A) wird im Gitternetz durch schwarze Punkte fur alle aktiven Neuronen und wei?e Punkte fur inaktive Neuronen dargestellt. Die Prototypen der Buchstaben werden zunachst dem System ,eintrainiert’, d.h. sie werden mit den lokalen Energieminima im Potentialgebirge des neuronalen Zustandsraums verbunden. Die Neuronen sind mit Sensoren ausgestattet, mit denen ein Muster wahrgenommen wird.

Bieten wir nun dem System ein verrauschtes und teilweise gestortes Muster des eintrainierten Prototypen an, dann kann es den Prototypen in einem Lernprozess wiedererkennen. Der Lernprozess geschieht durch lokale Wechselwirkungen der einzelnen Neuronen nach den Hebbschen Lernregeln. Sind zwei Neuronen zur gleichen Zeit entweder aktiv oder inaktiv, so wird die synaptische Kopplung verstarkt. Bei unterschiedlichen Zustanden werden die synaptischen Gewichte verkleinert. Der Lernprozess wird so lange durchgefuhrt, bis der gespeicherte Prototyp erzeugt («wiedererkannt») ist. Der Lernprozess entspricht also einem Phasenubergang zu einem Punktattraktor, der wie in einem Ferromagneten nahe dem thermischen Gleichgewicht ohne Zentralsteuerung durch Selbstorganisation geschieht.

Hopfield-Systeme arbeiten zwar parallel, aber determiniert. Der Lernprozess kann daher in einem Tal des Potentialgebirges stecken bleiben, das nicht das tiefste im gesamten .Netz ist. Hat z.B. eine Kugel ein Tal erreicht, dann lautet ein naheliegender Vorschlag, das gesamte System ein wenig zu schutteln, damit die Kugel das Tal verlassen kann, um niedrigere Minima einzunehmen. Starke oder schwache Schuttelbewegungen verandern die Aufenthaltswahrscheinlichkeit einer Kugel wie bei einem Gasmolekul, dessen Kollisionen durch Druck- und Temperaturveranderungen beeinflusst werden. Bei solchen probabilistischen Netzwerken spricht man daher auch nach dem Begrunder der statistischen Mechanik und Thermodynamik von Boltzmann-Maschinen. Sie haben eine gro?ere Nahe zu biologischen neuronalen Netzen, da sie sich als fehlertolerant gegenuber kleinen Storungen wie das menschliche Gehirn z.B. bei kleineren Unfallschaden erweisen.

Neuronale Netze nach dem Spinglasmodell sind an der konservativen Selbstorganisation komplexer Systeme nahe dem thermischen Gleichgewicht orientiert. Im Vordergrund steht die technisch erfolgreiche Losung von Problemen, nicht die Modellierung des Gehirns. Das Gehirn ist namlich ein lebendes System fern vom thermischen Gleichgewicht. Synergetische Computer orientieren sich daher an der dissipativen Selbstorganisation fern des thermischen Gleichgewichts. An die Stelle der ,Hidden Units’ der Zwischenschicht treten Ordnungsparameter zur Charakterisierung makroskopischer Schaltmuster der Outputneuronen. In der nichtlinearen Wechselwirkung der Ordnungsparameter setzt sich i.a. einer durch und dominiert die makroskopische Dynamik. Solche Systeme erbringen teilweise Leistungen von Gehirnsystemen wie z.B. dem visuellen Cortex bei der Mustererkennung oder dem assoziativen Gedachtnis.

Bis in die 90er Jahre galten neuronale Netze und zellulare Automaten nur als Modelle, die letztlich auf die Simulation mit konventionellen Computern angewiesen sind. Die technische Revolution in der Entwicklung von Mikroprozessoren und Sensoren macht es moglich, sie zu bauen. Offenbar arbeiten menschliche und tierische Gehirne nicht nur auf der digitalen Basis feuernder und nicht-feuernder Neuronen, sondern auch aufgrund analoger Signalverarbeitung von Sensorzellen. Wahrnehmungsorgane nehmen kontinuierliche Tast-, Warme-, Schall- oder Lichtreize war, die technisch analoger Signalverarbeitung mit Sensoren entsprechen. Analoge zellulare Computer verbinden analoge und digitale Informationsverarbeitung. Auf Chipgro?e miniaturisiert erreichen sie heute bereits die Leistung von Supercomputern. Wenn wir berucksichtigen, dass Chips uberall in unserer Umwelt verteilt sind (und sein werden), ahnen wir die zentrale Rolle, die analoge zellulare Computer sich anschicken, in unserer Lebenswelt einzunehmen.

Als Beispiel betrachten wir zellulare neuronale Netze, die wegen der englischen Bezeichnung «Cellular Neural Network» als CNN abgekurzt werden und auf eine patentierte Erfindung der amerikanischen Ingenieure und Informatiker Leon O. Chua und Lin Yang (1988) zuruckgehen. Wie ein zweidimensionaler zellularer Automat besteht die Architektur eines zellularen neuronalen Netzes (CNN) aus einem schachbrettartigem System von Zellen. Es gibt auch dreidimensionale Architekturen von zellularen Automaten und CNNs mit wurfelformigen Anordnungen wie in neuronalem Gewebe. Im Unterschied zu zellularen Automaten sind die Zellen eines CNN aber mit Sensoren ausgestattete Prozessoren, die Analogsignale empfangen und verarbeiten konnen. Wie die Neuronen eines neuronalen Netzes ist jede Zelle eines CNN durch ihren Zustand, Input, Output und Schwellenwert bestimmt. Der Zustand einer CNN-Zelle andert sich wie bei einem zellularen Automaten und einer neuronalen Merkmalskarte nach T. Kohonen in Abhangigkeit von den lokalen Zellzustanden in einer vorgegebenen Umgebung bzw. Einflu?sphare der Zelle. Im Unterschied zu Hopfield-Systemen, die von einer globalen Vernetzung aller Zellen untereinander ausgehen, gibt es also in einem CNN nur lokale Einflu?spharen, uber die Zellen kommunizieren. In elektronischen Schaltkeisen von zellularen Chips sind lokale Vernetzungen nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns realisierbar. Im Unterschied zu zellularen Automaten andern sich die Zellzustande aber nicht digital, sondern stetig und tragen damit analoger Signalverarbeitung Rechnung.

Ein kognitives Anwendungsbeispiel sind die bekannten Kippbilder der Gestaltpsychologie, bei denen man spontan z.B. eine symmetrische Vase oder zwei diametrale Gesichter erkennt. Welche der beiden Moglichkeiten zuerst als Gestalt erkannt wird, hangt davon ab, welchem Detail des Bildes zuerst Aufmerksamkeit geschenkt wird und ob es als Hintergrund oder Teil der Gestalt bewertet wird. Analog arbeitet die Erkenntnisstrategie des CNN-Chip: Je nachdem, wo auf dem Input-Bild welches Pixeldetail markiert wird, antwortet der CNN-Chip auf dem Output-Bild mit einer alternativen Farbung von Gestalt und Hintergrund, um die jeweilige Gestalt hervorzuheben. Im Gehirn baut sich aus dem Pixeldetail die gesamte Gestalt auf. Ein entsprechender Aufmerksamkeitsparameter spielt also die Rolle eines Ordnungsparameters, der die Makrodynamik dominiert. Gestalterkenntnis ist nun das Ergebnis einer nichtlinearen Dynamik. Ihre Emergenz ist die Losung einer entsprechen nichtlinearen Differentialgleichung. Welche von zwei moglichen Gestalten eines Kippbildes erscheint, hangt von einer Bifurkation in einem kritischen instabilen Zustand der Wahrnehmung ab. Es handelt sich um eine Symmetriebrechung eines labilen Gleichgewichts. Das ist insofern erkenntnistheoretisch bemerkenswert, als die Gestaltpsychologen des letzten Jahrhunderts eine «physikalische» Erklarung bestritten hatten. Tatsachlich ist eine Gestalt ein kollektives Muster, das nicht in die (lineare) Summe seiner Pixels zerfallt. Der Vorbehalt der Gestaltpsychologen gilt also nur, wenn man sich auf die lineare Kausalitat beschrank.

Prinzipiell lasst sich nicht ausschlie?en, dass Chips dieser Art eines Tages die nichtlineare Gehirndynamik simulieren konnen. Ist damit das Gehirn berechenbar und die Willensfreiheit des Einzelnen ad absurdum gefuhrt? Tatsachlich entsprechen unsere Gedanken, Gefuhle und Bewusstseinszustande neuronalen Verschaltungsmustern des Gehirns, die durch entsprechende Ordnungsparameter charakterisierbar sind. Aus der Theorie zellularer Automaten wissen wir aber, dass solche Automaten eine Eigendynamik entwickeln konnen, die eine Vorausberechnung im Detail ausschlie?t. Wenn wir ein Computermodell ahnlich dem Gehirn gebaut hatten, mussen wir also damit rechnen, dass es ahnlich wie ein biologisches Gehirn «eigenwillige» Dynamiken entwickeln konnte. Wir hatten dann zwar ein Computermodell des dynamischen Systems �Gehirn’, das aber nicht berechenbar und entscheidbar ist. Das ist eine Folge nichtlinearer Kausalitat komplexer dynamischer Systeme.

Gehirne treten in der Natur nicht isoliert auf, sonder haben sich in nichtlinearen Populationsdynamik entwickelt. In der biologischen Evolution haben sich Kommunikationssysteme von Tierpopulationen herausgebildet. Sie reichen von neurochemischen Signalen in Insektenpopulationen bis zum artikulierten Gesang von Vogeln. Primaten, die mit Asten Alarm schlugen, benutzten erstmals Werkzeuge zur Nachrichtenubertragung. Nach Trommeln, Rauchzeichen, Morsen und Telefonnetzen kommunizieren wir heute in Computernetzen wie dem Internet. Es ist mittlerweile das Nervensystem einer globalisierten Welt, in der wir Nachrichten in Echtzeit (d.h. mit Lichtgeschwindigkeit) austauschen. Das Internet zerfallt aber nicht nur in die Summe einzelner vernetzter Computer. Mit plattformunabhangigen Computersprachen wie z.B. Java ist das Netz selber ein gigantischer Computer, in dem die Menschheit wie in einem Supergehirn ihre Dokumente speichert und multimedial animiert. Wie ein Nervensystem ist das Internet tatsachlich bereits bis zu einem bestimmten Grad ein komplexes sich selbst organisierendes Informationssystem, in dem keine zentrale Leitungsvermittlung stattfindet.

Die Informationsflut in komplexen Informations- und Kommunikationssystemen wie dem Internet kann von einzelnen Nutzern nicht mehr kontrolliert und bewaltigt werden. Dazu bedarf es intelligenter Informationsfilter, Koordinations- und Kooperationsprogramme, die im Netz verteilt den Interessen der Nutzer entsprechend agieren. Als mobile und intelligente Programme im Netz konnten solche virtuellen Dienstleister (�Agenten’) untereinander kooperieren und nutzliche Informationen austauschen, die verschiedenen Nutzern helfen. In der Natur trat ein solches kooperatives Kommunikationsverhalten bei Insektenpopulationen auf, die gemeinsam kollektive Leistungen wie den Bau von kunstvollen Termitenbauten oder verzweigten Ameisenstra?en organisierten, von denen das einzelne Tier keine Vorstellung hat. In der Soziobiologie spricht man daher von Schwarmintelligenz, die erst durch Kooperation und Kommunikation der Population entsteht. Im elektronischen Medium werden Kommunikationsmuster erzeugt, deren Ordnungsparameter das Verhalten einzelner Agenten pragen.

Ende der 80er Jahre prophezeite M. Weiser von der Firma Xerox den Trend zu einer telematisch vernetzten Gesellschaft, in der eine Vielzahl von einfachen Endgeraten den Alltag der Menschen unterstutzen. Er pragte dafur die Bezeichnung vom Ubiquitous Computing. Informations- und Kommunikationstechnologie ist aber erst dann �ubiquitar’ (d.h. uberall verbreitet), wenn ihre Verbindung an Standardrechner wie PCs und Laptops uberwunden wird und die gebundelten Funktionen eines Computers in die eigentlichen Anwendungen zuruck verlagert werden. Kunstliche Intelligenz steckt dann weniger hoch konzentriert in einem Gerat, sondern in der Vernetzung einer Infrastruktur von verschiedenen Geraten, die eine intelligente Nutzerumgebung schaffen. Intelligenz entsteht daher in der nichtlinearen Interaktion dieser Infrastruktur mit dem Menschen.

Unterhalb der Leistung eines PC verbreiten sich mittlerweile Smart Devices mit geringem Energieverbrauch in intelligenten Umgebungen unseres Alltags. Beispiele sind �Tabs’, �Pads’ und �Boards’: Zentimetergro?e Gerate fur kurze Nachrichten, Folien in der Gro?enordnung von Papierseiten, handliche E-Bucher oder E-Zeitungen und Displays in der Gro?e von Tafeln oder Pinwanden. Diese Tabs, Pads und Boards signalisieren das beginnende Zeitalter von Ubiquitous Computing. Ziel von Ubiquitous Computing ist aber auch eine telematisch vernetzte Medizin, die medizinische Diagnose, Behandlung und Verwaltung durch Global Networking im Internet zu optimieren versucht. Computergestutzte Kommunikation wird in Krankenhausern (Intranet), zwischen Krankenhauser, Facharzten, Hausarzten und Patienten (Internet) eingesetzt. In der Unfallmedizin und Akutmedizin kann die interdisziplinare Vernetzung in Echtzeit lebensrettend sein.

Nichtlineare Kausalitat eroffnet auch die Moglichkeit, Selbstorganisationseigenschaften organischer Systeme in der Technik zu ubernehmen. Man spricht bereits vom Organic Computing, in dem autonome Einheiten komplexer technischer Systeme Selbstdiagnose und Selbsttherapie bei Fehlfunktionen ermoglichen. Allerdings zeigen die bisherigen Beispiele, dass nicht nur gewunschte, sondern auch chaotische und unkontrollierbare Phanomene (z.B. Krankheiten wie Krebs) sich selber in nichtlinearer Dynamik aufschaukeln konnen. Es kommt darauf an, die kritischen Werte entsprechender Kontrollparameter zu erkennen und diese Art von Emergenz im Vorfeld zu vermeiden.

Eine der zentralen Herausforderungen der Automobilhersteller der Zukunft ist die Beherrschung zunehmender Komplexitat elektronischer Systeme im Automobil. Wer die elektronischen Kabelsysteme in Automobilen von ihren Anfangen bis heute betrachtet, kann sich der frappierenden Ahnlichkeit mit den Nervensystemen immer komplexer werdender Organismen der Evolution nicht erwehren. Im Unterschied zur biologischen Evolution sind heutige elektronische Systeme aber weitgehend starr, kompakt und unflexibel, so dass kleinste Fehler das gesamte System zum Zusammenbruch fuhren konnen. In einer evolutionaren Architektur wird daher das Nervensystem eines Automobils wie in der Natur in viele autonome Einheiten (Carlets) zerlegt, die sich in einem Selbstorganisationsprozess zu kooperativen Funktionsgruppen zusammenschlie?en, um kollektiv intelligente Leistungen zu realisieren. Beispiele solcher Leistungen reichen von der komplexen Funktionalitat des Motors, Verkehrsleit- und Sicherheitssystems uber Klima- und Sitzverstellung bis zu den wachsenden Anspruchen des Entertainment.

Bei Verletzungen und Ausfallen in lebenden Organismen (z.B. Unfall, Schlaganfall, Krankheit) ist Selbstheilung und flexible Umstellung eine lebenswichtige Fahigkeit, die durch Kooperation autonomer Einheiten wie Organteile, Gehirnareale u.a. ermoglicht werden. Wenn im Automobil z.B. eine autonome Einheit «Lampe» ausfallt, dann suchen andere autonome Einheiten, die bisher auf die defekte Lampeneinheit zugegriffen haben, selbstandig nach Ersatz. Sie arrangieren sich mit anderen Einheiten so, dass lebenswichtige Funktionen auf alle Falle erhalten bleiben. Dieser Vorgang ist dem Heilungsvorgang bei Lebewesen sehr ahnlich und wird deshalb in der evolutionaren Fahrzeugarchitektur als Selbstheilungsmechanismus bezeichnet. Ebenso reagiert das System beim Entfernen eines Gerates (z.B. Telefon) oder der Hinzunahme (Nachrusten) einer Funktion oder Fahrzeugkomponenten. Weitere «Self-X-Eigenschaften» des Systems sind Selbstkonfiguration, Selbstadaption und Selbsterklarung: Selbstkonfiguration meint die Fahigkeit, Elemente durch Selbstorganisation so anzuordnen, dass eine gewunschte Problemstellung mit dieser Anordnung gelost werden kann. Selbstadaption erlaubt die Feinregulierung von Konfigurationen, wenn sich z.B. au?ere Bedingungen wie Fahrer und Fahrzeugumwelt andern. Selbstdiagnose ermoglicht die Uberprufung der eigenen Funktionsweise, die Erkennung von Fehlern und Ausfallen. Selbsterklarung beschreibt eine intuitiv verstandliche Interaktion zwischen Fahrer und Automobil, die dem Fahrer Eigenschaften, Funktionalitat und aktuellen Zustand des Systems erklart.


5. Selbstorganisation und Dynamik in Wirtschaft und Gesellschaft

Das Zentralnervensystem lasst sich als komplexe Population von Neuronen auffassen, zwischen denen Signale und Nachrichten transportiert werden. Entscheidend ist dabei, dass neuronale Systeme nicht zentralgesteuert und programmiert wie ein klassischer von-Neumann-Computer sind. Auch bei Tierpopulationen konnen komplexe nichtlineare Systeme zur Selbstorganisation von Ordnungszustanden fuhren, ohne dass sie zentral gesteuert werden. Ein lehrreiches Beispiel sind staatenbildende Insekten wie z.B. Ameisen. Ameisenstaaten scheinen auf den ersten Blick ein deterministisches System zu bilden, in dem die Aktivitaten der einzelnen Ameisen programmgesteuert ablaufen. Bei naherer Beobachtung jedoch fuhren die einzelnen Insekten viele Zufallsbewegungen (Fluktuationen) aus, wahrend die Gesamtorganisation hochgradige Ordnungsstrukturen besitzt, die sich allerdings spontan andern konnen. Eine stabile Ordnungsstruktur kann z.B. ein Spurennetz sein, das Ameisen von ihrem Nest zu Nahrungsquellen ihrer Umwelt aufbauen. Diese Transportnetze sind zugleich Signalnetze, in denen die einzelnen Tiere uber chemische Botenstoffe kommunizieren. Der gesamte Schwarm kann also mehr als das einzelne Tier. Man spricht daher auch von Schwarmintelligenz. Tatsachlich wird dieses Potential einerseits durch die Wechselwirkungen der Tiere erzeugt, andererseits wirkt es auf sie zuruck. Wir beobachten also wieder die typische Ruckkopplung zwischen Mikro- und Makroebene eines komplexen Systems, die Selbstorganisation und Emergenz von Ordnung moglich macht. Das Potential des Schwarms druckt sich konkret in der Verteilung chemischer Signalstoffkonzentrationen zwischen den einzelnen Tieren aus, analog der Verteilung von Neurotransmittern zwischen den Neuronen des Gehirns, und kann durch entsprechende Ordnungsparameter charakterisiert werden.

Eine Nahrungsquelle ist ein Beispiel fur einen Attraktor der Populationsdynamik, in dem das System vorubergehend im Gleichgewicht mit seiner Umwelt ist. Wird durch zufallige Fluktuationen einzelner Tiere eine zweite Nahrungsquelle entdeckt, kann das alte Spurennetz instabil und ein neues aufgebaut werden. Das System schwankt zwischen zwei Attraktoren als zwei moglichen Zielzustanden, bis es zum Symmetriebruch kommt und sich ein Attraktor in einer Bifurkation durchsetzt.

Mit Blick auf die Kulturgeschichte ist es naheliegend, auch die Entwicklung menschlicher Gesellschaften als Dynamik komplexer Systeme zu verstehen. Jager-, Bauern- und Industriegesellschaften breiten sich wie Wetterfronten auf geographischen Karten aus. Schon bei der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts bilden Stra?en- und Eisenbahnnetze das Nervensystem der sich ausbreitenden Nationalstaaten. In Computermodellen la?t sich die Dynamik von Stadtentwicklungen studieren. Wir beginnen mit einer nahezu gleichma?ig bewohnten Region. Sie wird auf einem schachbrettartigen Netz von Orten simuliert, an denen die sich verandernden Bevolkerungskonzentrationen im Laufe der Zeit dargestellt sind. Die Orte sind durch Funktionen verbunden, in denen ihre industrielle Kapazitat, Verkehrsverbindungen, aber auch ihr Freizeit- und Erholungswert zum Ausdruck kommen. Eine Populationsgleichung modellierte die nichtlineare Dynamik der Besiedlung, die sich in neuen Stadtzentren, Industriegebieten, Ballungszonen, Veranderungen des Verkehrsnetzes zeigte.

Hier setzt das Modellierungskonzept der Soziodynamik an. Methodisch wird dazu die Mikroebene individueller Entscheidungen einzelner Menschen von der Makroebene kollektiver Prozesse unterschieden. Die probabilistische Kollektiventwicklung wird durch eine Mastergleichung fur gesellschaftliche Makrozustande (,Soziokonfigurationen’) modelliert. Jede Komponente einer Soziokonfiguration bezieht sich auf eine Teilpopulation mit einem charakteristischen Verhaltensvektor. In Computergraphiken konnen die sich verandernden Wanderungsstrome zweier Populationen wie in einer Flussdynamik als unterschiedliche Attraktoren (,Ordnungsparameter’) dargestellt werden — von Ghettobildungen (,Punktattraktoren’) uber oszillierende bis zu chaotischen Zustanden. Wir konnen zwar auf der Mikroebene keine individuellen Entscheidungen voraussehen. Auf der Makroebene lassen sich aber mogliche Szenarien kollektiver Trendentwicklungen unter bestimmten Nebenbedingungen (,Kontrollwerten’) simulieren.

Wiederum wird keine neuartige Kausalitat zugrunde gelegt. Es handelt sich auch bei sozialen Systemen um eine nichtlineare Dynamik komplexer Systeme. Allerdings verfugen wir in der Regel uber keine Bewegungsgleichungen fur das individuelle Verhalten der Systemelemente auf der Mikroebene. Menschen sind keine Molekule oder Zellen. Dennoch erzeugen z.B. ihre politischen Praferenzen kollektive Wahltrends, die ahnlich wie Stromungsmuster auf das Wahlverhalten des Einzelnen zuruckwirken. Man konnte daran denken, auf der Mikroebene Gleichungen individueller Gehirndynamik zugrunde zu legen. Allerdings ware dieser Ansatz wegen der Komplexitat solcher Gleichungen nicht praktikabel. Daher arbeiten Sozialwissenschaften auf der Makroebene mit statistischen Verteilungsfunktionen, deren Dynamik mit stochastischen Gleichungen modelliert wird.

Bereits Adam Smith (1723-1790), der Vater der Marktwirtschaft, ging vom Selbstorganisationsprozess eines komplexen Wirtschaftssystems aus, in dem Angebot und Nachfrage von Produkten zwischen Firmen und Konsumenten die wirtschaftliche Dynamik bestimmen. Dazu nahm Smith einen «naturlichen» Preis an, der sich aus dem Arbeitswert eines Produkts ergibt. Wenn der Marktpreis gro?er als der naturliche Preis wird, ist die Profitrate hoch, so dass sich die Produktion ausweitet und damit zur Preissenkung fuhrt. Die umgekehrte Bewegung tritt ein, wenn der Marktpreis kleiner als der naturliche Preis ist. Durch Gewinnchancen und Verlustrisiken steuert sich also das Marktsystem selbst und strebt einem absoluten Gleichgewichtszustand von Angebot und Nachfrage zu. Smith unterstellte also eine konservativer Selbstorganisation, durch die sich im okonomischen Gleichgewicht der soziale Ordnungszustand einer Gesellschaft («Wealth of Nation») von selbst wie durch eine unsichtbare Hand («invisible hand») gelenkt einstellt.

Tatsachlich lassen sich aber okonomische Systeme nicht mit der konservativen Selbstorganisation von Kristallen und Festkorpern nahe dem thermischen Gleichgewicht vergleichen. Als offenes System, das in standigem Stoff-, Energie- und Informationsaustausch mit anderen Markten und der Natur steht, kann Marktwirtschaft keinem Gleichgewichtszustand «naturlicher» Preise zustreben. Analog wie ein biologisches Okosystem wird sie in standiger Veranderung begriffen sein und empfindlich auf geringste Veranderungen der Randbedingungen reagieren. Zudem sind die Agenten eines Wirtschaftssystems lernfahige Menschen. Kurzfristige Schwankungen von Konsumentenpraferenzen, unflexibles Reagieren im Produktionsverhalten, aber auch Spekulationen auf Rohstoff- und Grundstucksmarkten liefern Beispiele fur sensible Reaktionen im Wirtschaftssystem. Dass Fluktuationen im kleinen sich zu Wachstumsschuben im gro?en selbst organisieren konnen (z.B. technische Innovationen wie Webstuhl und Dampfmaschine in der industriellen Revolution), andererseits aber zu chaotischem und unkontrollierbarem Verhalten aufschaukeln konnen (z.B. Borsenkrach, Massenverelendung, Arbeitslosigkeit), ist eine historische Erfahrung der Jahrhunderte nach Adam Smith.

Bemerkenswert ist, dass Karl Marx die Selbstorganisation einer Marktwirtschaft exakt erkannt hatte. Seine kritische Analyse zeigt die Phasenubergange auf, in denen sich okonomische Systeme krisenhaft entwickeln und gesellschaftliche Strukturen verandern. Bereits Hegel hatte mit seiner dialektischen Methode historische Entwicklungsprozesse erklart. Vom Standpunkt komplexer dynamischer Systeme ist die Analyse von historischen Phasenubergangen bei Marx realistisch. Er erkennt, dass die Selbstorganisation okonomischer Krafte nicht automatisch zum Wohlstand einer Gesellschaft und zur Wohlfahrt seiner Bevolkerung fuhrt. Der Fehler vieler seiner Nachfolger besteht allerdings darin, dass man als Konsequenz die Selbstorganisation des Marktes abschaffen wollte, um sie durch eine zentralistisch gesteuerte Verteilungsmaschine zu ersetzen. Das ware aber so, als wollte man die Evolutionsgesetze abschaffen. Marx erkennt also richtig die nichtlineare Dynamik okonomischer Systeme, will sie aber durch eine lineare Dynamik im Sinne des Laplaceschen Geistes ersetzen. Dazu mu? ein neuer Mensch angenommen werden, der nicht nach seinem eigenen Profit strebt, sondern die gesellschaftlichen Interessen erkennt und danach handelt. Das ist aber eine unrealistische Annahme der menschlichen Natur. Ebenso gehen aber Adam Smith und die okonomischen Klassiker von einer idealistischen Annahme uber den Menschen aus. Der «homo oeconomicus», der mit vollstandiger Information uber seine Umwelt nur seinen eigenen Nutzen maximiert, ist eine mathematische Fiktion linearer Gleichgewichtsdynamik.

Ein nichtlineares Modell zeigt, wie sich der Wettbewerb zwischen zwei konkurrierenden Produkten bei positiver Ruckkopplung unter der Bedingung zunehmender Ertrage durch geringste Anfangsfluktuationen entscheidet. Geringste Marktvorteile in der Anfangsphase konnen dazu fuhren, dass sich eine Technologie immer leichter und deutlicher durchsetzt, ohne dass diese Entwicklung am Anfang vorausgesagt werden konnte. Selbst wenn ein technischer Standard wie z.B. ein Computerbetriebssystem nicht die beste Losung unter fachlichem Gesichtspunkt war, kann sie sich global auf diesem Weg durchsetzen. Wissenschaftshistorisch ist bemerkenswert, dass der «Schmetterlingseffekt» in der Wirtschaft bereits 1890 von dem englischen Okonomen A. Marshall erwahnt wurde — also etwa in der Zeit, als Poincare die Nichtlinearitat der Himmelsmechanik herausstellte. Marshall zeigte, wie ein Unternehmen, das rein zufallig fruh einen hohen Marktanteil erreicht, seine Konkurrenten uberflugeln kann, wenn die Produktionskosten mit zunehmenden Markanteilen fallen.

Daraus folgt: Wir mussen fruhzeitig die Ordnungsparameter erkennen, die eine Dynamik dominieren konnten. Es geht also um die Entwicklung okonomischer Fruhwarnsysteme. Das ist ahnlich wie bei Krankheiten eines Organismus oder der Wettervorhersage. In beiden Beispielen handelt es sich auch um nichtlineare Dynamik komplexer Systeme. Aus Krankheitssymptomen und Wetterdaten kann durch verschiedene mathematischen Methoden (z.B. Zeitreihenanalyse, Attraktorenbestimmung im Phasenraum, Lyapunov-Exponenten) ein zukunftiger Trend erkannt werden. Bei okonomischen und sozialen Prozessen handelt es sich allerdings um hochdimensionale Systeme vieler Komponenten, bei denen die Rechenkapazitaten unserer Computer heute noch unzureichend sind, um Trends genau zu bestimmen. Vom mathematischen Standpunkt sind Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften schwieriger als die Naturwissenschaften, da ihre Modelle komplexer sind. Aber auch qualitative Einsichten im Umgang mit nichtlinearer Dynamik sind wertvoll und bewahren uns vor Uberraschungen. Jedenfalls sollten wir sensibel fur die empfindlichen Gleichgewichte in Natur und Gesellschaft werden. Krisenmanagement kommt zu spat, wenn bereits Chaosattraktoren herrschen. Wir benotigen Komplexitatsmanagement nichtlinearer Dynamik.

6. Selbstorganisation und Dynamik im Management von Unternehmen und Verwaltungen

Management der Zukunft findet unter den Bedingungen von Komplexitat statt. Komplexitat erzeugt nichtlineare Dynamik. Daher werden Konsequenzen nichtlinearer Dynamik fur das Komplexitatsmanagement von Unternehmen und Verwaltungen untersucht. In unsicheren und unubersichtlichen Informationsraumen entscheiden Menschen auf der Grundlage beschranker Rationalitat und nicht des «homo oeconomicus». Beschrankte Rationalitat entspringt der durch Unvollstandigkeit und Ungenauigkeit bestimmten menschlichen Wahrnehmung von Problemen und Situtationen. Beschrankte Rationalitat steht daher im Zentrum moderner Kognitionsforschung und Philosophie. Ihre Ergebnisse mussen in das Management einflie?en, um Unternehmen und Verwaltungen vor falschen Rationalitatsmodellen zu bewahren.

Weltweite Informations- und Kommunikationsnetze uberschreiten Landergrenzen und beschleunigen die Globalisierung. Wir sprechen daher auch von der Informations- und Wissensgesellschaft, in der die klassische rohstoffabhangige Industriegesellschaft ablost wird. Dienstleistungen auf der Grundlage von Wissen und Knowhow werden wichtiger als die Steigerung von Tonnenzahlen. Die Antwort der Technik auf Komplexitatssteigerung ist starkere Selbstorganisation von Computer-, Informations- und Kommunikationssystemen, die nicht mehr zentral steuerbar sind. In der Informations- und Wissensgesellschaft bestimmen Wissen und Konnen der Menschen die Produktivitat und Konkurrenzfahigkeit eines Landes. Daher geht es um konkrete Ma?nahmen, um die Kreativitatspotential von Unternehmen und Verwaltungen zu fordern. Sie sind der Kern der Wertschopfung von Unternehmen in der Wissensgesellschaft.

Unter den Bedingungen von Komplexitat und Globalisierung werden Mitarbeiter in Unternehmen mit vernetzten Problemen konfrontiert. Neben Problemlosungskompetenz sind daher gefordert: Systemdenken und Systemverstandnis, Interdisziplinaritat und interkulturelles Verstandnis, Sozialkompetenz fur die Teamarbeit mit beschrankter Rationalitat des einzelnen. Unter den Bedingungen labiler und instabiler Gleichgewichte bedarf es zudem langfristiger Wertorientierung. Komplexitatsmanagement der Zukunft mu? dazu den Menschen in den Mittelpunkt nichtlinearer Unternehmensdynamik stellen und seiner Natur Rechnung tragen. Das gelingt nur, wenn sie auf den Ergebnissen von Kognitions- und Systemforschung, Philosophie und Ethik aufbaut.

Welche Talente und Eigenschaften von Mitarbeitern sind erforderlich, um in der Dynamik von Arbeitsmarkten und Unternehmen bestehen zu konnen? Wie finden Unternehmen geeignete Mitarbeiter, betreuen sie und bereiten sie auf die sich standig verandernden Arbeitsbedingungen vor? Dazu benotigen wir die Gesetze komplexer dynamischer Systeme und ihre Konsequenzen fur das Komplexitatsmanagement von Unternehmen. Unter den Bedingungen weltweiter Informations- und Kommunikationssysteme kommt es zu einer rasanten Beschleunigung der Globalisierung von Markten. Talente und Begabungen nicht nur in IT-Berufen werden zu einer weltweit knappen Ressource, um die Unternehmen konkurrieren. Komplexitatsmanagement wird zum Wissensmanagement in der Informarionsgesellschaft. Kreativitatspotentiale sind der Kern der Wertschopfung von Unternehmen in der Wissensgesellschaft. Die Herausforderung der Zukunft im Management ist daher der Wandel vom Industriemanagement zum Komplexitats- und Wissensmanagement und schlie?lich zum Kreativitatsmanagement.

Komplexitatsmanagement ist dann erfolgreich, wenn wir die nichtlineare Dynamik komplexer Systeme verstehen. Fur ein Unternehmen gilt daher herauszufinden, wieweit es sich in die Nahe von Instabilitaten bewegen sollte, um Innovationsschube auszulosen und das Abgleiten ins Chaos zu vermeiden. Fur ein Unternehmen gilt es daher herauszufinden, wieweit es sich in die Nahe von Instabilitaten bewegen sollte, um Innovationsschube auszulosen und das Abgleiten ins Chaos zu vermeiden. In der Theorie komplexer dynamischer Systeme lassen sich globale Trends durch wenige statistische Verteilungsgro?en (,Ordnungsparameter’) modellieren. Wir mussen z. B. nicht das tatsachliche Mikroverhalten jedes einzelnen Autofahrers kennen, um fur bestimmte Verkehrsdichten ein Makroverhalten wie Stop-and-Go-Wellen oder Verkehrsinfarkt voraussagen zu konnen. Intelligente Verkehrsleitsysteme mussen lernen, solche Trends rechtszeitig aus Dichtemustern zu erkennen und sich dem Verkehrsfluss anzupassen. Ebenso muss intelligentes Management lernen, mit Instabilitaten sensibel umzugehen und geeignete Rahmenbedingungen zu setzen, damit sich eine gewunschte Geschaftsdynamik selbst organisiert.

Unternehmen sind aber, so wird man einwenden, Systeme von Menschen mit Gefuhlen und Bewusstsein, keine willenlosen Atome oder Molekule. Allerdings entstehen auch in sozialen Gruppen globale Meinungstrends einerseits durch kollektive Wechselwirkung ihrer Mitglieder (z.B. Kommunikation). Andererseits wirken globale Trends auf die Gruppenmitglieder zuruck, beeinflussen ihr Mikroverhalten und verstarken oder bremsen dadurch die globale Systemdynamik. Solche Ruckkoppelungsschleifen (�Feedback’) zwischen Mikro- und Makrodynamik eines Systems ermoglichen erst Lerneffekte im Unternehmen wie z.B. antizyklisches Verhalten, um bewusst schadlichen Trends entgegenzuwirken.

Wenn Unternehmen als lernende und sich selbst organisierende komplexe dynamische Systeme verstanden werden, dann zeichnen sich erste Konturen eines Mitarbeiterprofils ab. Angesichts der nichtlinearen Dynamik von Menschen, Unternehmen und Markten ist der Laplacesche Geist eines linearen Managements und Controllings ebenso zum Scheitern verurteilt wie die Unterstellung rationalen Verhaltens im Sinne des homo oeconomicus. Menschen handeln weder vollstandig rational noch vollstandig irrational. In unsicheren und unubersichtlichen Informationsraumen entscheiden sie auf der Grundlage beschrankter Rationalitat (vgl. Simon 1982). Sie filtern fuzzy Informationen mit beschrankten Sinnesorganen und kognitiven Fahigkeiten, bewerten Situationen auf der Grundlage von Motivationen und Emotionen, erganzen und verstarken ihre Fahigkeiten im Team. Lern- und Kommunikationsfahigkeit, Sensibilitat und Sozialitat machen uns nach wie vor einem Supercomputer uberlegen, der mit noch so gro?er Rechen- und Speicherleistung der Komplexitat moderner Lebenswelt nicht gewachsen ist. Personalarbeit der Zukunft sollte daher diese naturliche Anlage von Menschen verstarken und nicht durch falsche Rationalitatsmodelle vergewaltigen.

Weltweite Informations- und Kommunikationsnetze beschleunigen die Globalisierung und steigern damit Komplexitat. Die Rede ist von Teleworking, Telebanking und Teleshopping in virtuellen Markten, Firmen, Banken und Kaufhausern, die Raum und Zeit uberwinden. Mit Internet und World Wide Web leben und arbeiten wir bereits in virtuellen Netzwelten, in denen wir unser Wissen speichern, Innovationen planen, Geschafte tatigen, Entspannung und Unterhaltung suchen. Diese Computernetze sind offene und sich selbst organisierende komplexe Systeme mit Millionen von Kunden und Anbietern, deren nichtlineare Dynamik gesteigerte Informationsvielfalt, aber auch Informationschaos eroffnet. Wie zeichnet sich Wissen gegenuber Informationen, Nachrichten und Daten in Computernetzen aus? Das menschliche Gehirn codiert und decodiert nicht nur Zeichen und Daten bei der Nachrichtenubertragung, sondern bezieht sie auch auf Kontexte der Sender und Empfanger und verleiht ihnen dadurch Informations- und Neuigkeitswert. Vernetzen und gewichten wir Informationen, um damit Probleme losen und Handlungen planen zu konnen, sprechen wir von Wissen. Diese Auffassung von Wissen steht bereits in Bacon’s beruhmten Motto am Anfang der Neuzeit: Wissen ist Macht. Tatsachlich verdankten traditionsreiche Unternehmen und Banken ihren Erfolg letztlich immer einem Wissensvorsprung, um schneller und gezielter als andere entscheiden und handeln zu konnen, wenn auch unter der Bedingung beschrankter Rationalitat.

Produkte sind geronnenes Know-how und Produktmarkte damit auch immer Wissensmarkte. Dieser Trend wird durch Informations- und Kommunikationstechnologien beschleunigt. In der traditionellen Industriegesellschaft bestimmen Rohstoffe, Fabriken, Waren und Markte den Wirtschaftsprozess. In einem rohstoffabhangigen Unternehmen wird daher die physische Wertschopfungskette von der Innovation uber Produktionsablaufe und Marketing bis zum Verkauf und Kunden effektiv gestaltet. Mit Hilfe leistungsstarker Computer- und Informationssysteme lassen sich die komplexen Organisations-, Beschaffungs- und Verteilungsprobleme nicht nur besser uberschauen, sondern die Informationsverarbeitung dieses Wissens erzeugt auch einen zusatzlichen Wert. Beispiele sind Automobilunternehmen, die ihre Produktentwicklung an virtuellen Prototypen in Computernetzen mit weltweit verstreuten Konstrukteuren und Marketingexperten betreiben.

Softwarehauser, Direct Marketeers, Finanzdienstleister und Versicherer kommunizieren mit ihren Kunden im Netz und schaffen mit ihren Datenbanken neue Produkte und Leistungen. In der Wissensgesellschaft sind die physischen Wertschopfungsketten (z.B. eines Automobilkonzerns) zusatzlich mit solchen virtuellen Wertschopfungsketten vernetzt. Know-how und Beratung werden als Wissensprodukte im Netz angeboten. Im Electronic Commerce werden Anbahnung, Aushandlung und Geschaftstransaktionen virtuell realisiert.

Globalisierung der Informations- und Wissensgesellschaft fuhrt zum Wettbewerb der Standorte um bessere Industrien, Zukunftssicherung und Lebensqualitat. Weltweite Informations- und Kommunikationsnetze machen einen Just-in-time-Vergleich der Vor- und Nachteile landerubergreifend moglich. Standorte sind durch Menschen mit ihrer Ausbildung, ihrem Know-how, ihrer Lebens- und Berufseinstellung, durch Bauten, Anlagen und Maschinen, durch Verwaltungen und Organisationen und nicht zuletzt durch politische Rahmenbedingungen bestimmt. Dabei sind mobile von immobilen Standortfaktoren zu unterscheiden. Im Industriezeitalter galten die meisten Standortfaktoren als immobil. Bauten, Anlagen Maschinen und weitgehend auch Menschen konnten nicht verpflanzt werden. Entscheidend waren immobile Standortfaktoren wie geographische und klimatische Bedingungen und vor allem Rohstoffe und Produktionsfaktoren vor Ort.

Demgegenuber sind Information und Wissen mobile Standortfaktoren. Ihre Transportkosten werden mit den wachsenden Informations- und Kommunikationsnetzen immer billiger. Der Geist wehte schon immer, wie er will, wo er will und wann er will. Informations- und Kommunikationsnetze machen aus dieser Weisheit eine wirtschaftlich messbare Wertschopfung. Der Markt wird zum Entdeckungsverfahren fur gunstige Standorte, die sich in den weltweiten Kommunikationsnetzen wie in einem globalen Dorf (Global Village) blitzschnell herumsprechen.

Bei der Wertschopfung der Wissensgesellschaft geht es aber nicht um die Informations- und Kommunikationsnetze selber, sondern um das Wissen und Know-how, das in diesen Netzen entwickelt wird und sie erst moglich macht. Es geht also um den Ideenproduzenten Mensch. Hier boomen die Wissensmarkte der Hochschulen und Weiterbildungszentren. Von Seiten der Unternehmen konkurrieren Personalarbeiter um den Rohstoff Geist, der in Deutschland nicht nur im IT-Bereich mittlerweile ein knappes Gut ist. Personalarbeit in der Wissensgesellschaft steht also im Zentrum der Untemehmenswertschopfung.

Wenn Unternehmen und Verwaltungen als lernende und sich selbst organisierende komplexe dynamische Wissenssysteme verstanden werden, dann bedarf es anderer Mitarbeiter als in starren mechanischen Apparaten mit festen Funktionszuschreibungen. Ihre Kreativitatspotentiale zu finden ist Aufgabe einer Personalarbeit der Zukunft. In der Kreativitatsforschung wird heute die Verbindung von Denken, Handeln, Imagination, Phantasie und Fuhlen betont. Tatsachlich weist die Gehirnforschung nach, dass entsprechende Gehirnareale eng vernetzt sind. Der �kuhl’ und emotionslos kalkulierende Manager ist daher eher ein mentaler Kruppel als ein Vorbild an Rationalitat. Emotionen motivieren uns zu handeln oder mahnen zur Vorsicht, wenn uns Situationen an gute oder schlechte Erfahrungen erinnern. Wenn erfolgreiche Manager aufgrund eines �guten’ oder �schlechten’ Gefuhls intuitiv entscheiden, dann stehen sie in der Tradition dieses Evolutionserbes. Verbunden mit einem reichen Schatz an komplexen Erfahrungsmustern, die mit der aktuellen Situation verglichen werden, ist diese Art der emotionalen Intelligenz jedem Supercomputer oder Planungsstab uberlegen, der alle Details und Optionen vollstandig erfassen, berechnen und optimieren will. Mustererkennung mit dem Blick fur das Wesentliche bei gleichzeitiger Fehlertoleranz im Detail ist die starke Leistung von komplexen neuronalen Netzen wie dem menschlichen Gehirn. Emotionale Intelligenz bedeutet aber auch, dass Arbeit Spa? machen muss. Wer Mitarbeiter emotional nicht erreicht, wird ihre Kreativitat nicht wecken konnen.